Weltreise per Bahn und Handgepäck (7/9): Sieben Tage in Tibet

Friendship Highway Lhasa Kathmandu, Tibet, Dominik Sommerer, Dominiks Welt

„Die Grenze zu Nepal ist bis einschließlich 23. November 2013 geschlossen“, informiert uns unser Reiseleiter am Morgen des 20. November in der Hotellobby in Lhasa. Grund dafür waren Unruhen anlässlich der Wahlen in Nepal am Vortag. Unser Reiseplan sah vor am 22.11. im chinesischen Zhangmu zu übernachten und am 23.11. die sechs Kilometer entfernte Grenze zu Nepal zu überqueren. Wir diskutieren Alternativen: Einen Tag später in Lhasa losfahren? Doch was ist wenn die Grenze länger geschlossen bleibt? Können wir in diesem Fall zurück nach Lhasa fahren? Unsere Sondergenehmigung für Tibet gilt nur bis 24.11.2013. Einen Tag länger in Lhasa zu bleiben könnte bei einer Verlängerung der Grenzschließung also bedeuten dass wir nicht nach Nepal einreisen können, jedoch aus China ausreisen müssen.

Zuvor war ich nach 48 Stunden im Zug am Sonntag von Shanghai kommend um acht Uhr abends auf dem Dach der Welt angekommen. Bei einem uniformierten Herrn musste ich am Ausgang des 3600 Meter hoch gelegenen Bahnhofs von Lhasa mein Tibet Permit vorzeigen. Die zur Volksrepublik China gehörende autonome Region Tibet darf man nur mit einer Sondergenehmigung, dem Tibet-Permit, und einem vom tibetischen Reisebüro gestellten Guide besuchen. Zusammen mit weiteren Reisenden bringt mich der uniformierte Herr zu meinem Reiseleiter Pasang der mich ins Hotel begleitet. Er erklärt diverse Regeln: Ich darf mich in Lhasa weitgehend frei bewegen, Tempel jedoch nur mit ihm besuchen, keine Polizisten fotografieren und auf keinen Fall über Politik reden. Letzteres könnte mich in große Schwierigkeiten bringen.

Mit dem Scheitelpunkt auf 5072 Metern Meereshöhe auf dem Tangula-Pass ist die im Jahr 2006 eröffnete Tibetbahn die höchste Eisenbahnstrecke der Welt. 960 Kilometer der Strecke liegen auf über 4000 Metern Höhe und ein Viertel der Strecke verläuft auf Permafrostboden. Da dieser im Sommer auftaut und die Strecke somit im Morast versinken würde wird der Boden mit Hilfe von mit Ammoniak gefüllten Stäben gekühlt. Weiter sorgt eine spezielle Bauweise des Bahndamms dafür dass der ständige Wind auf der Hochebene durch Löcher in den Bahndamm strömt und diesen dadurch kühlt. Mein Zug besteht aus zwei Dieselloks, einem Generatorwagen, sieben Hardsleeper-Liegewagen mit sechs Liegen pro Abteil, zwei Softsleeper-Liegewagen mit vier Liegen pro Abteil, drei Hardseater-Großraumwagen mit fünf Sitzen nebeneinander und einem Speisewagen. Ich reise Softsleeper und teile mein Abteil in der ersten Nacht mit zwei Backpackern aus England und einem schnarchenden Chinesen. Chinesen machen immer Lärm, selbst im Schlaf. Nach zwei Wochen Japan war die Rückkehr in China ein Kulturschock. Chinesen sind – um es diplomatisch auszudrücken – etwas animalisch. Es wird gedrängelt, beim Essen geschmatzt und auf den Boden gespuckt. So hat dann auch jedes Abteil der Tibetbahn nicht nur eine Sauerstoffdüse sondern auch eine kleine Metallschale als Spucknapf. Nach Ankunft des Zuges in Lhasa war der Zug extrem dreckig. Dazu beigetragen hat auch das Zugpersonal. Dessen Einstellung zur Arbeit war – ich zitiere Loriot – „locker und nicht so verbissen wie bei uns“ und hielt sich vorwiegend rauchend im Speisewagen auf, mich ignorierend als ich etwas zu Essen bestellen wollte.

Am Montag besuchte Pasang mit mir zuerst den im Jahr 637 gebauten Potala Palast, die ehemalige Winterresidenz der Dalai Lamas Tausend mal war Pasang schon hier, er scheint jeden Mönch persönlich zu kennen. Anschließend besuchen wir den Jokhang Tempel, das Zentrum des tibetischen Buddhismus. Vor dem Tempel sind zahlreiche Pilger versammelt, die fortlaufend stehend zuerst drei Mal ihre Hände zusammen falten – über dem Kopf, vor dem Hals und vor der Brust – um sich dann bäuchlings auf den Boden zu werfen und die Arme auszustrecken. Andere Pilger umkreisen, ihre Gebetsmühlen drehend, im Uhrzeigersinn den Tempel. Es sind kaum Touristen in der Stadt, dafür ist die Stadt voll mit Pilgern vom Land, da die Erntezeit nun vorbei ist. Der Himmel ist blau, die Temperaturen sind mit -5 bis +14 Grad recht mild.

Am Nachmittag sind mit Patricia und Grazianna aus Genf die übrigen zwei Mitglieder meiner Reisegruppe zu uns gestoßen. Wir besichtigen das Sera Kloster wo im Innenhof zahlreiche Mönche diskutieren.

Am Dienstag bin ich total platt. Die trockene Luft und der geringe Luftdruck belasten meinen Körper. Mein Herz pocht wie nach einem Dauerlauf oder Saunabesuch. Ich hatte nachts Nasenbluten, trockenen Hals, habe viel getrunken und musste folglich oft aufs Klo. An erholsamen Schlaf war auch angesichts des ungeheizten Hotelzimmers nicht zu denken. Die Höhenkrankheit ist lebensgefährlich und das Anfangssymptom sind Kopfschmerzen. Ich sage das Besichtigungsprogramm in Lhasa ab und lege einen Ruhetag ein damit ich morgen fit für die Fahrt über den Friendship Highway bin. Von meinem Bett beobachte ich die flatternden Gebetsfahnen im Innenhof des Hotels und gönne mir auf einer Dachterrasse in der Stadt bei strahlendem Sonnenschein ein Mittagessen.

Mit einem Toyota Landcruiser fahren wir dann wie geplant ab Mittwoch über eine der landschaftlich schönsten Straßen Asiens in drei Tagen die 829 Kilometer lange Strecke von Lhasa nach Zhangmu. Es ist die einzige Straßenverbindung zwischen China und Nepal. Die Straße ist gut ausgebaut und alle paar Kilometer gibt es eine Kontrollstation. „Don’t take pictures“ und „Speed controll“, erklärt Pasang und lässt sich auf einem Formular einen Stempel geben. Wir überqueren den 4794 Meter hohen Kamba La Pass, passieren den heiligen Yamdrok-See, den Karo La Gletscher und erblicken am Donnerstag den Mount Everest. Ich bin sehr gerührt, habe ich doch zahlreiche Hörbücher von Reinhold Messner gehört, der als erster Mensch den Mount Everst ohne Sauerstoffgerät bestiegen hat. Das nur einhundert Kilometer entfernte Mount Everest Basecamp können wir nicht besuchen. Bei unserer Abfahrt in Lhasa hatte es nach starken Schneefällen und vier Toten vor eineinhalb Monaten noch geschlossen. Nun ist es jedoch wieder offen und wir würden sogar einen Aufpreis bezahlen. „Es ist nicht auf unserem Permit“ erklärt Pasang.

Am Freitag bin ich ziemlich schlecht gelaunt als wir wegen chinesischer Bürokratie an der Abzweigung „Mt. Everest“ vorbeifahren. Zu gerne wäre ich direkt vor dem mit 8848 Metern höchsten Berg der Erde gestanden. Wir überqueren auf über 5000 Metern Höhe bei eisigem Wind und strahlendem Sonnenschein den schneebedeckten Himalaya und erblicken weitere 8000er. Am Nachmittag erreichen wir Zhangmu. In einem Restaurant sprechen wir mit den Leuten vor Ort. Die Grenze hat schon wieder offen und die politische Situation in Nepal ist in Ordnung. Erleichterung. Auch für meinen Körper. Auf 1300 Metern Meereshöhe habe ich keine Kopfschmerzen mehr und kann auch ohne Heizung gut schlafen. Fließend Wasser, warm, gibt es auch. Selbstverständlichkeiten die wir zu Hause oft nicht zu schätzen wissen.

Am Samstag um 10:00 Uhr erreichen wir die Grenze. Unser Gepäck wird kontrolliert. Patricia ist vor mir und hat einen Lonely Planet von Tibet dabei. Der chinesische Beamte blättert darin, die beiden diskutieren. Dann bin ich an der Reihe und packe in aller Seelenruhe meinen Rucksack aus. Ich beginne mit den leeren Plastiktüten, meinem Erste Hilfe Set, meiner Wasserflasche sowie der langen Unterwäsche und erkläre alles detailliert. Der Beamte wird ungeduldig und wirft ein: „Do you have any books? CDs?“ – „No.“, antworte ich und der Beamte deutet dass ich meine Sachen wieder einpacken soll. Pasang verabschiedet sich mit den Worten „Thank you for your visit in Tibet. It helps us very much.“ Zu Fuß überqueren wir die Freundschaftsbrücke zwischen China und Nepal, kaufen uns für 25 US-Dollar ein Visa für Nepal und fahren mit einem Taxi die restlichen 144 Kilometer nach Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal. Während der Fahrt frage ich Patricia ob sie ihren Lonely Planet behalten durfte. „Ja. Aber er hat die Seite mit dem Grußwort des Dalai Lama herausgerissen.“

Wie geht’s weiter?
Nachdem ich 58 Tage lang über Land gereist bin fliege ich morgen mit der Thai Air nach Bangkok. Warum?

  • Die Reise auf dem Landweg über Indien und Myanmar ist aus politischen Gründen nicht möglich.
  • Fährverbindungen von Indien nach Südostasien gibt es nicht.
  • Der Landweg von Nepal nach Thailand führt über China und Vietnam sowie weiter über Laos oder Kambodscha.

Da war der dreistündige Flug für 225 Euro eine interessante Alternative. Bangkok gefällt mir zwar nicht wirklich und habe ich eher strategisch gewählt:

  • Erstens war ich hier schon einmal letztes Jahr und brauche mich nicht neu zu orientieren.
  • Zweitens ist es Ausgangspunkt für meinen zweiwöchigen Strandurlaub.
  • Drittens will ich von hier die weitere Route über Singapur nach Australien planen.

Australien nervt mich dabei ein wenig. Hinkommen kann ich günstig: ein Flug von Singapur nach Darwin kostet nur 90 Euro. Einzelzimmer kosten allerdings ab 100 Euro aufwärts. Der Ghan, ein Zug der Australien von Darwin im Norden bis Adelaide im Süden durchquert, fährt nur alle 14 Tage. Folglich ist ein Stop am berühmten Ayers Rock nicht möglich. Zwei Wochen möchte ich im Hochsommer nicht im Outback verbringen. Und dann gibt es nur die Wahl zwischen einem Einzelabteil für stolze 1452 Euro oder einem Sitzplatz im Großraumwagen für 468 Euro. Meine Begeisterung für Australien hält sich in Grenzen.

Ach ja:
Die Überfahrt von Kobe nach Shanghai war ruhig. Meine Kabine habe ich mit einem amerikanischen Geschäftsmann geteilt der in Tokio wohnt und beruflich nach Shanghai gefahren ist.

Aufnahme auf dem Friendship Highway zwischen Lhasa und Kathmandu.