Selbst und ständig? Erfahrungen aus 3 Jahren Selbstständigkeit

Erfahrungen Selbstständigkeit Stuttgart Hbf 21

Manchmal ist es nötig, über die Stäbe zu springen, um seinem Stern zu folgen. Stuttgart Hbf, 03.03.2017

Vor etwa drei Jahren habe ich meine Festanstellung gekündigt und mich beruflich selbstständig gemacht. In dieser Episode berichte ich über meine Erfahrungen und den Weg dahin. Was ist dran am Gerücht, dass Selbstständige „selbst und ständig“ arbeiten?

Ziemlich wenig, wenn man es richtig macht. Aber ich weiß gar nicht so ich anfangen soll. Am besten am Anfang, oder?

Tausend Stäbe und eine Weltreise

Schon seit etwa dem Jahr 2008 geisterte zunehmend der Gedanke in meinem Kopf herum, mich beruflich selbstständig zu machen. Ich fühlte mich zu Büchern mit den Themen Selbstständigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und Unternehmensführung magisch angezogen. Nach 2,5 Monaten beruflicher Auszeit und Abenteuer in Form einer Weltreise Ende 2013 kehrte ich Anfang 2014 in mein Leben als Sachbearbeiter zurück und fühlte mich wie der Panther im Zoo von Paris im gleichnamigen Gedicht von Rainer Maria Rilke: Ich hatte morgens keine Lust aufzustehen und abends das Gefühl völliger Erschöpfung und innerer Leere.

Zeit absitzen

Es kam mir suspekt vor, wenn der Kollege abends länger im Büro bleibt und sagt „damit ich auf meine Stunden komme“, obwohl er seine Aufgaben erledigt hat. Seither frage ich mich, warum es in manchen Unternehmen einen Überstundenzuschlag gibt, warum gute Mitarbeiter jedoch keinen Bonus bekommen, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind, sondern sich rechtfertigen müssen, dass sie nur „9-to-5“ arbeiten. Als Angestellter bleibt man ein ewiges Kind und muss wie im Kindergarten, Zoo oder Gefängnis seine Zeit absitzen.

Der Sprung über die Stäbe mit der Kraft der Mitte

Ich buchte ein Astro-Coaching bei Hans-Peter Zimmermann. Eine Stunde lang unterhielten wir uns über Skype und er deutete mein Geburtshoroskop: „Hmmm, MC Löwe… Du müsstest eigentlich selbstständig sein.“ (…) „MC Löwe das sind Leute die haben Chefeigenschaften, die müssen führen“, sagte er zu mir. Ich bräuchte einen Beruf, der Schwerpunkte in den Bereichen Löwe, Jungfrau und Wassermann habe. Das heißt: Etwas bodenständiges, wo ich im Rampenlicht stünde.

Die Kunst trotz Angst zu handeln

Die Kunst ist es, trotz Angst zu handeln. Und Angst ist gestaltbar. Ich hatte zwar eine größere Geldsumme gespart, um eine einkommenslose Zeit überbrücken zu können. Aber welche Geldsumme ist genug, um eine unbefristete Festanstellung zu kündigen? Wie viel finanzielle Sicherheit brauche ich? Ohne ein gewisses Maß an Urvertrauen ist keine Geldsumme ausreichend. Der Hypnose-Coach Manfred Huber hat mir mit einem 3-Tages-Intensiv-Coaching geholfen, ein Worst-Case-Szenario zu entwickeln und mit mir einige Hypnose-Sitzungen durchgeführt, um mich mit meinem Ur-Vertrauen zu verbinden.

Mut zur Blamage

Darüberhinaus hatte stand mir Arbeitslosengeld zu und ich könnte den Gründungszuschuss, eine Unterstützung für Existenzgründer beantragen. Die Nachfrage nach Fachkräften in der Bahnbrache war und ist hoch. Wenn es mit der Selbstständigkeit nicht klappen sollte, könnte ich mir wieder eine „abhängige Beschäftigung“ suchen. Das klingt einfach, jedoch gehört dazu der Mut, sich zu blamieren, wenn man ein Ziel nicht erreicht oder es aufgibt, weil es nicht mehr stimmig ist. Dass ich das gut kann, habe ich schon mit meiner Weltreise bewiesen, die ich nach zweieinhalb statt geplanten sechs Monaten beendet habe.

Alte Brücken abbrechen

Ein halbes Jahr später habe ich meine Festanstellung gekündigt. Der Herbst war eine gute Jahreszeit um alte Dinge loszulassen und ich hatte diese Entscheidung schon seit Monaten aufgeschoben. Seit meiner Entscheidung spürte ich deutlich mehr Lebensenergie und Lebensfreude.

Der erste Impuls ist oft richtig

Wie es beruflich weiter gehen sollte, dazu hatte ich nur eine recht wage Idee. Beruflich könnte mein Weg dahin gehen, das zu machen, was mich schon seit meiner Kindheit bewegt: Eisenbahnunternehmen dabei zu unterstützen, wie sie Kunden für ihre Verkehrsangebote begeistern und diese wirtschaftlich gestalten können – also eine Berater- und Trainertätigkeit im Bahnbereich. Eine schöne Mischung zwischen Schreib- und Reisetätigkeit sowie Phasen mit alleine und gemeinsam arbeiten, die ich bisher sehr geschätzt habe. Immerhin rund 450 Eisenbahnunternehmen gibt es alleine in Deutschland.

Der erste Auftrag

Wenn man seiner Intuition vertraut, seine Gaben und Talente in die Welt bringt, wird offenbar alles viel leichter. Über einen langjährigen Freund habe ich meinen ersten Auftrag erhalten und für eine Ausschreibung des Landes Baden-Württemberg ein Betriebskonzept erstellt. Der Fahrplan und die prognostizierten Fahrgastzahlen pro Zug waren vorgegeben. Zu planen war durch mich:

  • Welcher Fahrzeugtyp ist am Besten geeignet?
  • Wie viele Fahrzeuge und wie viel Personal braucht man, um den vorgegebenen Fahrplan zu fahren?
  • Welche Kosten entstehen für Fahrzeugreinigung, Leerfahrten und Abstellgleise?
  • Wo ist der perfekte Werkstattstandort?

Mein erster Einsatz war erfolgreich: Ich habe ein Unternehmen beim Markteinstieg in Deutschland unterstützt.

Dabei konnte ich überwiegend von meinem schönen Heimbüro mit Blick ins Grüne arbeiten und war gelegentlich unterwegs zu Besprechungen und Vor-Ort-Besichtigungen.

Aus einem Auftrag wurden mehrere und nach und nach kamen weitere Kunden dazu.

Vom Berater zum Trainer

Derzeit arbeite ich überwiegend als Trainer und unterstütze Eisenbahnunternehmen bei der Ausbildung von Lokführern, denn hier herrscht gerade ein enormer Fachkräftemangel. Ich unterrichte die Themen Grundlagen Bahnbetrieb, Bremsen bedienen und prüfen, Umgang mit stressigen und emotional belastenden Situationen.

Disponenten und Betriebsplaner können in meiner Intensiv-Seminarreihe „Bahnbetrieb mit Hand und Fuß“ lernen, wie sie Zugverkehr sicher, zuverlässig und wirtschaftlich organisieren. Ein vergleichbares Disponenten-Seminar gab es bisher nicht auf dem Markt und ist meines Wissens einzigartig.

Talente und Gaben wahrnehmen

Eigene Talente und Gaben nimmt man selbst oft nicht als etwas Besonderes wahr. Das ist mir beim Leitertraining der Kriegerschule von Jack Silver wieder einmal bewusst geworden. Kunden honorieren bei mir Kleinigkeiten, die für mich selbstverständlich sind, wie zum Beispiel:

  • Verbindlichkeit
  • Wertschätzung
  • Schnelligkeit
  • klare Kommunikation

Wie man sich als Selbstständiger motiviert

„Ich könnte das nicht“, höre ich oft, wenn ich davon erzähle, dass ich selbstständig bin und dabei teilweise von zu Hause aus arbeite.

Ich muss hier klar differenzieren:

  • Fremde Projekte kann ich sehr einfach bearbeiten, da es einen gewissen Termindruck gibt. Bei einer Ausschreibung gibt es Abgabetermine. Bei einer Schulung muss mein Unterrichtskonzept am Schulungstag stehen. Ich weiß zudem, dass ich eine fette Rechnung schreiben kann, wenn ich meine Arbeit gut mache. Das motiviert.
  • Eigene Projekte zu verfolgen, fällt mir dagegen eher schwer. Dazu zählen beispielsweise Seminare entwickeln, Werbung machen und Bücher schreiben. Es gibt keinen Termindruck. Ich weiß nicht, ob sich die drei Monate Entwicklung meines Disponentenseminars „Bahnbetrieb mit Hand und Fuß“ jemals auszahlen werden. Es ist einfacher solche Dinge aufzuschieben, morgens auszuschlafen und sinnlos im Internet zu surfen. Nur es befriedigt nicht.

Die Lösung: Bewährt hat sich, jeden Morgen eine Stunde an eigenen Projekten zu arbeiten. Auch das bekomme ich nur an Tagen hin, wo ich zu Hause bin. An Reise- und Seminartagen fehlen mir dazu Willenskraft und Energie. Deshalb nutze ich ein monatliches Telefon-Coaching mit klaren Zielvereinbarungen.

Erkenntnis: Selbstständigkeit und von zu Hause arbeiten erfordert eine klare Tagesstruktur.

Freiheit macht nicht zwingend glücklich

Eine weitere Erfahrung ist, dass Freiheit nicht zwangsläufig glücklich macht. Freiheit bedingt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ich muss als Selbstständiger viele Entscheidungen treffen. Das raubt viel Energie. Und es ist ein einsamer Weg.

Es ist kurzfristig einfacher von 9 bis 17 Uhr ins Büro zu gehen, einfach das zu ertragen und abzuarbeiten, was einem aufgebürdet wird und „die Anderen“ (Chef, Kollegen, Kunden,…) dafür verantwortlich zu machen, wenn etwas nicht läuft. Und als Ausgleich materielle Dinge anzuhäufen, sich in Urlaube und Wochenenden zu flüchten.

Die Frage ist: Willst du Langzeitschmerz für Kurzzeitvergnügen oder Kurzzeitschmerz für Langzeitvergnügen? Lies dazu diesen Artikel von Jack Silver.

Ich bin ein Energielieferant

„America first“ sagte der US-Präsident Donald Trump vor einiger Zeit in einer Rede. Und da hat er völlig Recht!

In jedem Flugzeug wird vor dem Abflug darauf hingewiesen, dass man im Falle eines Druckverlustes zuerst sich und dann erst seinem Kind die Sauerstoffmaske aufsetzen soll. Ich bin ein Energielieferant. Ich muss erst für mich Energie tanken, damit ich für andere Energie geben kann.

Endlich kann ich meine Dinge zuerst planen und das andere drumherum. Bei meiner Jahresplanung trage ich meinen Urlaub und meine eigenen Weiterbildungen zuerst in den Kalender ein. Kundenaufträge plane ich drumherum. So werden auch persönliche Prioritäten bei Terminkonflikten schnell deutlich: Will ich den Auftrag nur haben, um Geld zu verdienen oder macht mir der Auftrag mehr Spaß als das gebuchte Seminar?

Zu einer guten Energiechoreografie zählt, mir auf Reisen Unterkünfte zu buchen, in denen ich mich wohl fühle und meine Akkus wieder auftanken kann. Wenn ich am nächsten Tag motiviert bin und einen Haufen Arbeit erledigt bekomme, zahlen sich 20 Euro Mehrkosten bei der Übernachtung schnell aus.

Grenzen kennenlernen

Mangelndes Urvertrauen führt schnell dazu, zu viele Aufträge anzunehmen. Im ersten Jahr meiner Selbstständigkeit habe ich gelernt, die Zeichen meines Körpers, wie beispielsweise Rückenschmerzen, als Überlastung zu erkennen. Und die Erfahrung zeigt: Wenn ich Anfragen ablehne, steigt mein Wert. Und manche Kunden sind plötzlich in der Lage, ihre Projekte besser zu planen.

Unsicherheit und Anderssein aushalten

Andererseits steht man so auch mal wochenlang ohne Aufträge da. Ich musste lernen, diese Zeiten auszuhalten. Wie viele Schmerzen geht der Schmerz vorbei, wenn man durch ihn hindurch geht.

Es ist wichtig, ein richtiges Maß zwischen Vertrieb und Urvertrauen zu finden.

Ein Sprichwort sagt:

„Das Gras wächst nicht schneller wenn man daran zieht.“

Dazu zählt, nicht nur zu ackern, sondern auftragslose Zeiten auch zu genießen und bei Sonnenschein im Garten zu liegen, während „die Anderen“ arbeiten.

Trotz Kopfkino:

„Was sollen nur die Nachbarn denken?“

Warum du Pfeif-auf-die-Wichser-Geld haben solltest

In der Fernsehserie „Queer as folk“ habe ich mal gehört: „Wenn du auf die Wichser pfeifen willst, brauchst du Pfeif-auf-die-Wichser-Geld.“ Selbstständigkeit ist nicht für jeden das Richtige. Ich habe ein überdurchschnittlich hohes Bedürfnis nach Autarkie und nehme dafür einiges an Diskomfort in Kauf. Ich empfehle allerdings jedem, einen gewissen Geldbetrag auf dem Konto zu haben, um eine bestimmte Zeit (3, 6 oder 12 Monate) ohne Einkommen überbrücken zu können. Der Finanzguru Bodo Schäfer nennt das „finanziellen Schutz“. Er schafft die Freiheit, eine Stelle zu kündigen, ohne etwas Neues zu haben. Der Gang zu den Sklaventreibern und Traumbrechern beim Arbeitsamt kann so vermieden werden, das oft versucht, in unsinnige Jobs zu vermitteln. Zumindest kannst du so eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld überbrücken.
Hast du deinen finanziellen Schutz?

Sich wertvoll verkaufen

Wichtig ist es, einen guten Preis zu verlangen und sich nicht unter Wert zu verkaufen. Viele Selbstständige arbeiten für Stundensätze von 20 bis 40 Euro und verkaufen sich viel zu billig. Ich habe mit 80 Euro angefangen und berechne aktuell 100 Euro pro Stunde. Meine selbst konzipierten Seminare kosten pro Schulungstag 1.600 Euro, allerdings inkl. aller Reise- und Übernachtungskosten sowie Vor- und Nachbereitungszeiten. Lieber weniger zu arbeiten und dafür einen höheren Preis zu verlangen kostet Überwindung. Ich behaupte mal, dass die meisten Menschen Schwierigkeiten haben, Geld anzunehmen und zu ihrem Reichtum zu stehen. Lieber acht Stunden arbeiten wie alle. Oder zumindest so tun als ob.

Weil die Nachbarn sonst denken könnten:

„Ich möchte mal wissen, von was der lebt…“

Steuern und Sozialversicherung

Bleiben noch Steuern und Sozialversicherung. Darüber muss man sich recht wenig Gedanken machen… Alles wird automatisch abgebucht! Und es ist unglaublich, wie viele Systemschmarotzer sich melden, so bald man die Gewerbeanmeldung bei der Gemeinde abgegeben hat. Dazu zählt beispielsweise die kostenpflichtige IHK-Zwangsmitgliedschaft.

Steuern

In Sachen Buchhaltung und Steuern unterstützt mich Steuerberater Stephan Gebert. In Deutschland zahlt man zwar im Vergleich zu anderen Ländern recht hohe Einkommensteuern, allerdings gibt es Freibeträge und man zahlt keine Steuern, wenn man kein Einkommen hat.

Risiko Sozialversicherung

Das was eigentlich schützen soll, kann für Selbstständige schnell zu Belastung werden: Die Zwangsabgaben an die Kranken-, Pflege und Rentenversicherung. Hier entstehen monatliche Fixkosten zwischen 400 und rund 1366 Euro. Im Extremfall zahlt man für dieses Glücksspiel (jede Versicherung ist eine Wette!) so viel wie für alle anderen Lebenshaltungskosten zusammen.

Krankenversicherung

Bei der Krankenversicherung besteht die Wahl zwischen gesetzlich und privat. Bei der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt man als Selbstständiger monatlich mindestens rund 400 und höchstens rund 800 Euro. Bei der privaten Krankenversicherung zahlt man oft weniger, aber die Beitragsentwicklung ist schwer abschätzbar. Wenn man Pech hat, bekommt man im Alter 1000 Euro Rente und zahlt 1000 Euro in die private Krankenversicherung.

Rentenversicherung

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung zahlen Existenzgründer den halben Regelbeitrag von 283,19 Euro. Nach drei Jahren verdoppelt sich der Beitrag auf monatlich 566,38 Euro. Allerdings muss nicht jeder Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.

Das Sozialgesetzbuch ist besonders bei der Rentenversicherung schwammig formuliert und die Auslegung erscheint mir bisweilen willkürlich und befremdlich für einen Rechtsstaat. Mit seinen recht hohen Mindestbeiträgen benachteiligt es Wenigverdiener und bevorzugt mit seinen Höchstbeträgen Vielverdiener. Dazu kommen zig Ausnahmen und Standesdünkel für gewisse Berufsgruppen. Das soll gerecht und sozial sein?

Fazit

Bisher habe ich den Schritt in die Selbstständigkeit nicht bereut. Ich habe mehr Verantwortung übernommen und mehr Freiheit, mehr Freizeit und mehr Geld erhalten.